Grenzöffnung 1989
Persönliche Erinnerungen
25 Jahre Mauerfall

Persönliche Erinnerungen an den 14. November 1989

von Gisela Meyer

 

 

Nass, kalt und windig war er, dieser Dienstag im November. In normalen Zeiten wäre Niemand, der nicht gemusst hätte,

bei dem ungemütlichen Wetter aus dem Haus gegangen.

Aber die Zeit war nicht normal! Die Menschen in ganz Deutschland und vor allen Dingen die, die in und um Berlin lebten,

befanden sich seit dem Abend des 9.November in einer unbeschreiblichen Euphorie.

Obwohl der „eiserne Vorhang“ an der ungarisch/österreichischen Grenze und in der deutschen Botschaft in Prag

schon zu bröckeln anfing, hatte doch kaum einer eine friedliche Grenzöffnung erwartet.

Um die vielen Menschen, die plötzlich aus der DDR geflüchtet waren, unterbringen zu können,

hatte unser Bezirksamt seit einigen Wochen am Teltowkanal an der Wismarer Straße

und auf dem Gelände der Kopernikus Schule am Ostpreußendamm Wohncontainer aufstellen lassen.

Bis sie eine Wohnung gefunden hatten, lebten sie dort unter bescheidenen Bedingungen in drangvoller Enge.

Wir Giesensdorfer haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen überlegten, ob es nicht möglich sei,

ihnen abends im Gemeindehaus einen Aufenthaltsraum zu Verfügung zustellen. Ehe wir jedoch unsere Idee umsetzen konnten,

überschlugen sich die Ereignisse und wir hörten, dass bereits am 14.11.89 auch „unsere Grenze“ am Ende des Ostpreußendamms

geöffnet werden sollte.

Unkraut und Büsche überwucherten auf Berliner Seite das Straßenpflaster,

auf der Teltower Seite war aber die ganze Straße in voller Breite im Zuge der Grenzsicherungen weggerissen worden.

So mussten sich erst einmal Straßenbaufachleute von Ost und West treffen, um den alten Straßenverlauf zu rekonstruieren.

Dann wurde rund um die Uhr, nachts im Licht von Scheinwerfern der DEFA aus Babelsberg, die Grenzbefestigungen abgebaut,

ein Wachturm weggerissen und das fehlende Stück Straße eingefügt.

Auf beiden Seiten verfolgten unzählige Menschen gebannt dieses unvorstellbare Geschehen und brachten Körbe mit Kaffee,

Keksen und anderen guten Sachen für die Bau- und Grenzsoldaten.

Dann der Morgen des 14.11.89: Der frisch gegossene Asphalt dampfte noch,

als nach Grußworten der Bürgermeister von Teltow und Steglitz die Grenze unter ohrenbetäubendem Jubel geöffnet wurde.

Mit einem uralten Lanz-Traktor an der Spitze, der mit einem Transparent an die historische Straßenbahnlinie 96 erinnerte,

setzte sich ein endloser Zug von Menschen aus der Region in Fahrzeugen und zu Fuß in Bewegung.

Viele von ihnen sollen schon nachts am Ruhlsdorfer Platz auf diesen Augenblick gewartet haben.

An diesem Tag ist vermutlich kaum einer in Teltow und Lichterfelde zur Arbeit oder zur Schule gegangen!

Luciano Viti, der Wirt vom „La Rocca“, schenkte aus einer Gulaschkanone kostenlos Suppe aus und irgendjemand verteilte Bananen.

Wir Gemeindemitarbeiterinnen hatten uns überlegt, dass bei diesem Wetter ein heißer Kaffee sicherlich das beste

Begrüßungsgetränk sei.

So stellten wir uns mit einem kleinen Tisch mit Thermoskannen und Plastikbechern an die Straße und mussten feststellen,

dass unsere 25 Liter Kaffee nach zehn Minuten alle waren. Schnell wurde nachgebrüht, mindestens fünfmal.

Aber es ging nicht nur in eine Richtung über die Stadtgrenze.

Nachdem der Strom von Fußgängern und Trabi-Fahrern etwas abgeebbt war,

ging es auch von West nach Ost. Nach 37 Jahren konnten wir Lichterfelder erstmals wieder Teltow-Seehof betreten,

denn seit 1952 durften Westberliner nicht mehr ohne Sondergenehmigung in die DDR.

Das kleine HO-Geschäft an der Phillip-Müller-Allee Ecke Maxim-Gorki-Straße wurde total „geplündert“.

Jeder wollte ein „Souvenir“ erstehen.

Gegen Mittag wurde es im Grenzbereich ruhiger, vorbei war die „Anarchie“ und die Grenztruppen,

deren Uniformen teilweise mit Blumen geschmückt worden waren, kehrten wieder zur alten Ordnung zurück:

Wir Westberliner benötigten „zur Einreise in die DDR“ wieder ein Visum und mussten auch wieder 25 DM „Eintritt“ bezahlen.

Jeder DDR-Bürger erhielt damals 100 DM Begrüßungsgeld, das sich viele von ihnen nach langem Anstehen im Postamt

am Ostpreußendamm abholten.

Unser Gemeindehaus, nur wenige Minuten entfernt, eignete sich gut zum Aufwärmen und Ausruhen.

Deshalb hatten wir Mitarbeiterinnen uns spontan entschlossen, das Haus nachmittags zu öffnen.

Trotz der Bedenken einiger Gemeindekirchenratsmitglieder, wie wir das denn personell schaffen wollten,

hat es von Anfang an an tatkräftigen Helfern nie gemangelt.

Kaffee, für die Kinder Kakao, Obst und Lebkuchen standen zur Stärkung bereit, und fast jeden Tag spendierte unsere Kita

einen großen Topf Suppe. Fremde Menschen kamen herein, gaben uns für unsere Gäste Kaffee oder Geld zum Einkaufen,

so dass wir auch finanziell keine Probleme bekamen. Im Gemeindehaus konnte telefoniert werden.

Wir konnten beraten und informieren, z. B. was man wo am günstigsten kauft,

damit die kostbaren 100 DM für Vieles reichte oder wie man zu dieser oder jener Straße kommt,

wo welcher Bus fährt, Fragen über Fragen. Es waren damals alle Berlin-Stadtpläne ausverkauft, so dass es gut war,

dass bei uns einige auslagen.

Babys wurden gewickelt, auch mal eine alte Großmutter oder ein Großvater „geparkt“,

die zu erschöpft waren, mit ihren Kindern in die Schlossstrasse zum Einkaufen zu fahren.

Es hat uns viel Spaß gemacht, sich mit unseren Gästen zu unterhalten und sich mit ihnen auszutauschen.

Viele Seehofer waren in Lichterfelde in die Schule oder bei den Giesensdorfer Pfarrern Bergemann und Kanitz in den

Konfirmandenunterricht gegangen.

Immer wieder kam man im Gespräch auf gemeinsame Bekannte und Erinnerungen, zum Beispiel an das Odeon Kino

(jetzt „Odeon-Club“), wurden wach, das unmittelbar nach dem Mauerbau mangels Besuchern aus Teltow schließen musste.

Die herzliche, offene Atmosphäre, die diese Nachmittage prägte, haben wir alle sehr genossen!

Viele Jahre hat es gedauert, bis ich mich an den Anblick des Ostpreußendamms ohne Mauer und Wachturm gewöhnt habe,

zu sehr hatte sich dieses unschöne Bild im Kopf festgesetzt.

Jetzt erinnert fast nichts mehr an damals, und ich genieße es sehr, dass wir ungehindert in die schöne Umgebung Berlins

fahren können. Ich bin froh, dass ich die Tage im November 89 so hautnah miterleben durfte, und es tut mir gut,

mich ab und zu an dieses unbeschreibliche Glücksgefühl von damals zu erinnern!

Gisela Meyer, November 2009

 

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